Künstlerisch brillant und emotional packend


Gedächtniskonzert: Philharmonischer Verein bringt Verdis »Requiem« in Aschaffenburger Stadthalle – Erinnerung an Musiker Stefan Claas

Main-Echo | MELANIE POLLINGER

ASCHAFFENBURG. »Libera me!« (befreie mich): Mit einem unendlich sehnsüchtigen Seufzer ist die »Messa da Requiem« von Giuseppe Verdi (1813 – 1901) am Samstagabend im Aschaffenburger Stadttheater ausgeklungen. Ein langer Moment des Schweigens ließ den 500 Zuhörern Zeit zum Nachspüren der packenden emotionalen Tiefe und brillanten künstlerischen Umsetzung des vielschichtigen sakralen Meisterwerks. Dann erst setzte nicht enden wollender Applaus ein.

Mit dem Verdi-Requiem, wie die 1874 in St. Marco in Mailand uraufgeführte Messe des großen italienischen Opernkomponisten auch genannt wird, erinnerte der Philharmonische Verein Aschaffenburg an den 2021 verstorbenen Musiker Stefan Claas. Mit seinem Kammerchor Ars Antiqua wollte sich der charismatische Chorleiter an einer Aufführung des Verdi-Requiems des Philharmonischen Vereins in der Aschaffenburger Stadthalle beteiligen. Der frühe Tod von Claas mit nur 53 Jahren durchkreuzte das Projekt von 2019.

Anstoß zur Erinnerung

Nun, im Oktober 2023, konnte das Verdi-Requiem nicht nur Anstoß geben zur Erinnerung an hoch geachtete Künstler wie Stefan Claas und zur Trauer über verstorbene Freunde, Verwandte und auch schwerkranke geliebte Menschen an der Schwelle zum Tod.

Die Bitte »Libera me!« konnte beim Hineintauchen in die klanglichen Extreme – sie reichten von ätherischer Zartheit bis hin zur diabolisch-apokalyptischen Zerstörungsvision – auch den Blick freigeben auf das, was den Menschen ausmacht in den aktuellen Zeiten von Krieg, wachsender Gewaltherrschaft und teils selbst verursachten Naturkatastrophen.

Der Eindruck des Theatralischen, mit dem der Opernkomponist Verdi alle Register zog bei seiner sinnlichen und überschwänglichen musikalischen Umsetzung der traditionellen lateinischen Liturgie, wich unter der Stabführung von Dirigent Michael Millard immer mehr einer mal hoch expressiven, mal fein nuancierten und mitunter überraschend modernen Auseinandersetzung mit der Endlichkeit und Verletzlichkeit der Spezies Mensch.

Schön, dass neben dem lateinischen Text im Programm auch eine sprachlich gelungene deutsche Übersetzung nachgelesen werden konnte.

Eine wundervolle Gesamtleistung, die Raum und Zeit vergessen ließ, gelang dem makellos agierenden Philharmonischen Orchester Aschaffenburg, der harmonisch austarierten Chorgemeinschaft Rheinhessen und den auf höchstem Niveau singenden Solisten Nombulelo Yende (Sopran), Cláudia Ribas (Mezzosopran), Abraham Bretón (Tenor) und Simon Bailey (Bass). Mit seiner klaren und eindringlichen Artikulation beschwor Bailey im »Dies Irae« biblische Szenerien vom jüngsten Gericht herauf, die an die großen Oratorien von Bach und Händel erinnerten. Das Orchester lieferte dazu die Bilder von entfesselten Elementen: Flöten und Trompeten, scharf wie Blitze, finster grollende Fagotte und Kontrabässe zu Paukenwirbeln. Glasklar erklang dazwischen die Ankündigung der Altstimme – der volle und sehr bewegliche Mezzosopran von Ribas –, dass nun das Buch des Weltenrichters aufgeschlagen werde.

Hoffnung auf Erlösung

Angst vor Tod und ewiger Verdammnis: In »Dies Irae« wird sie facettenreich durchdekliniert, bis endlich die Hoffnung auf Erlösung und ewige Ruhe aufschimmern darf. Die Passage »Lacrymosa«, bei der Solisten und Chor die menschliche Fragilität greifbar werden ließen, ähnlich wie in Stings »Fragile«, war ein Glanzpunkt der Aufführung. Tröstlich und weich erklang das »Offertorio«, das an Gottes Heilsversprechen erinnerte, mit anmutigem Belcanto der Solisten. Tenor Bretón bezauberte mit endlosen Koloraturen. Engelsgleiche Frauenchorstimmen strahlten zu Beginn »Sanctus« auf, das in berückend schöner Polyphonie einen Himmel voller Geigen heraufbeschwor.

Nicht ganz frei von Trauer und dunkeln Tönen waren das schlichte und innige »Agnus Dei«, in dem die Reue der Sünders thematisiert wurde, und »Lux aeterna«, in dem flirrende Geigentöne sich wie überirdisches Licht verbreiteten.

Die außergewöhnliche Stimme von Nombuelo Yende, die sich federleicht über mehrere Oktaven bewegt vom intensiv silbrigen Sopran bis zum samtigen Bass, kam im abschließenden »Libera me« besonders eindrucksvoll zur Geltung. Dieser wohl kunstvollste und spannungsreichste Satz des Requiems beschwört noch einmal alle Emotionen herauf: Todesangst und Hoffnung, Trauer und selige Versöhnung.

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