Das Authentische seiner Emotione

Jakob Spahn: Der Solocellist der Bayerischen Staatsoper München spielt mit bei »Dvorak kennenlernen«


Main-Echo | 26.9.2023 |
STEFAN REIS

ASCHAFFENBURG. Seit 2013 pflegt der Philharmonische Verein Aschaffenburg die Reihe »Komponisten kennenlernen«, in diesem Jahr gilt das Motto dem tschechischen Komponisten Antonin Dvorak. Unter Leitung von Michael Millard und moderiert von Johannes Möller werden am Samstag, 30. September, ab 19.30 Uhr in der Stadthalle Aschaffenburg Dvoraks Ouvertüre »Mein Heim« C-Dur op. 62 (1882), sein Cellokonzert h-moll op.104 (1895) und die Sinfonie Nr. 9 »Aus der neuen Welt« e-Moll op. 95 (1893) zu hören sein. Dabei ist im Cellokonzert h-moll der Solocellist der Bayerischen Staatsoper München Jakob Spahn als Solist zu hören.


Der Abend, an dem Sie in Aschaffenburg mitwirken, heiß »Antonin Dvorak kennenlernen«. Wie haben Sie denn Dvorak kennengelernt?

Kennengelernt habe ich Dvorak über eben dieses Cellokonzert h-moll op.104, das ich in Aschaffenburg spiele. Schon als Kind war es immer ein Traum, dieses Konzert zu spielen. Später kamen viele weitere sinfonische und kammermusikalische Begegnungen mit Dvorak dazu. Aber dieses Konzert eben gilt als eines der bedeutendsten Werke für jeden Cellisten – ein Meilenstein, zu dem man eine persönliche Beziehung hat.


Warum ist das so?

Es ist ein sehr vielseitiges und langes Konzert, das sehr eng mit Dvoraks Biografie verbunden ist. Dvorak war ja einer der ersten großen klassischen Komponisten, der in die USA gegangen ist und dort unterrichtet hat. Er hat seiner teilweise von der tschechischen Folklore geprägte Musik Melodien aus Amerika – insbesondere der indianischen und der schwarzen Bevölkerung, auch Naturmelodien – beigefügt.


Das Konzert selbst hat er ja 1895 gegen Ende seines Amerika-Aufenthalts geschrieben, als er sehr großes Heimweh verspürte:

Deshalb ist das Stück mit einer großen emotionalen Bandbreite versehen.


Sie schildern das sehr wertschätzend für den Komponisten.

Absolut! Gerade die in den USA geschriebenen Stücke sind noch einmal ganz besonders. Ich finde Dvorak sehr authentisch, nicht nur bei diesem Cellokonzert. Das gilt beispielsweise auch für seine Sinfonie Nr. 9 »Aus der neuen Welt« , die auch in den USA entstanden ist und ja auch an diesem Abend gespielt wird, und das »Amerikanische Streichquartett«.


Auffallend ist, dass Sie in die großen Konzerthäuser gehen, aber auch bei vergleichsweise kleinen Projekten dabei sind. Was macht denn die Teilnahme an einem Abend wie »Dvorak kennenlernen« besonders?

Letztlich ist es egal, wo man spielt. Wenn ich auf der Bühne stehe, ist es gar nicht entscheidend, welche das ist: Entscheidend ist, dass man als Musiker transportiert, was man dem Publikum hoffentlich an Emotionen mitgeben kann. Da ist letztlich die Zahl der Zuschauer egal, ich versuche immer mein Bestes zu geben.


Wie sind Sie zum Cello gekommen?

Als Kind war ich mit meinen Eltern im »Karneval der Tiere« in der Berliner Philharmonie. Als ich das berühmte Cellostück »Der Schwan« gehört habe: Von da an wollte ich Cello spielen!


Sie interessieren sich vor allem für zeitgenössische Musik und haben mit Komponisten wie Krzysztof Penderecki, Ursula Mamlok und Krzysztof Meyer zusammengearbeitet. Was ist denn so faszinierend an deren Musik?

Bei Dvorak schätze ich ja das Authentische seiner Emotionen. Bei Penderecki beispielsweise ist das ähnlich. Mit ihm habe ich persönlich zusammengearbeitet, spiele viele seiner Werke. Penderecki hat eine absolut authentische Klangsprache, die er mit großer Überzeugung immer weiter gegangen ist: Das macht Komponisten aus. Sie können sehr unterschiedlich sein, aber wenn ihre Klangsprache von innen kommt, dann erzeugen sie eine emotionale Verbundenheit. Das finde ich faszinierend.


Sie sind seit zwölf Jahren Solocelllist im Bayerischen Staatsorchester und seit 2020 Professor für Violoncello an der Musikhochschule Nürnberg. Wie hat sich denn in dieser Zeit die Situation für Orchestermusiker bzw. klassische Musiker gewandelt?

Das lässt sich abschließend sicher nicht verbindlich beantworten. Es gibt in Deutschland eine tolle Grundlage mit den vielen Opernhäusern und Orchestern, die den Musikern Möglichkeiten bieten – auf dem freien Markt haben die kleineren Veranstalter allerdings immer häufiger Probleme. Sie können etwas weniger Veranstaltungen machen, da einerseits das Publikum etwas verloren geht und andererseits die finanzielle Ausstattung in dem Maße nicht mehr gegeben ist.

Insofern haben die vergangenen drei Jahren die Situation für klassische Musik noch einmal verschärft. Zu hinterfragen ist, inwieweit die Verankerung von Musik und von Kultur in der Gesellschaft noch als wichtig erachtet wird: Da gibt es Tendenzen, die im Vergleich zu früher anders sind.

Inwiefern?

Nun, es gibt einen Drang zur Modernität, zur Ansprache neuer Zielgruppen: Klassische Musik arbeitet immer stärker mit Social Media und Online-Plattformen. Das ist einerseits gut, wenn es den gewünschten Effekt bringt. Andererseits sollten bestimmte Facetten der klassischen Musik für sich stehen, sie müssen wegen ihrer Einzigartigkeit nicht geändert werden. Die Musik ist es doch, die begeistert – nicht die Art ihrer Präsentation. Kultur muss man nicht verkaufen, sie ist aus sich heraus relevant.



Sie haben zahlreiche Auszeichnungen und Preise. Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Kunst auch in der Öffentlichkeit ausreichend gewürdigt wird?

In bestimmten Kreisen auf jeden Fall: Ich kenne sehr viele Menschen, die sich noch zum »klassischen Publikum« zählen und die Musik ihretwegen lieben. Und dann gibt es Tendenzen, die für Veränderungen stehen – dagegen ist zunächst einmal nichts zu sagen: Ich bin sehr für das Vermitteln von Kultur, in meinen Konzerten spreche ich immer wieder über die von mir gespielten Werke und versuche dem Publikum zu erklären, warum ich bestimmte Stücke spiele, weshalb ich sie für bedeutsam halte.


Auf Ihrem Spotify-Kanal haben Sie regelmäßig 536 Hörer – ein möglicherweise unfairer Vergleich: das internationale Pop-Phänomen Taylor Swift hat über 100 Millionen, der bundesweit bekannte Rapper Apache 207 über 6 Millionen, selbst eine eher regional bedeutsame Band wie Kapelle Petra für das Ruhrgebiet über 97.000. Sind moderne Medien für Sie eher ein notwendiges Übel, das man als Künstler bedienen muss, oder eine Möglichkeit, Öffentlichkeit herzustellen?

Ich selbst mache aktiv so gut wie nichts in dieser Beziehung. Dass Platten-Labels das sehr bespielen, ist verständlich: CDs werden in ein paar Jahren wahrscheinlich keine wesentlichen Rolle mehr spielen, weil Vermarktung und Verkauf nur noch über Medien wie Spotify und andere Plattformen laufen. Ich finde das für jene Hörer super, die genau dort ihre Musik suchen. In der klassischen Musik ist das gar nicht notwendig, weil der Hörerkreis im Vergleich zu dem von Taylor Swift ein ganz anderer ist und hoffentlich bleiben wird. Und als klassischer Musiker sehe ich die Gefahr, dass bei typischen Social-Media-Kanälen die Musik zu sehr »popularisiert« wird und nur auf einige Hits beschränkt bleibt. Die klassische Musik verlangt aber eine ganz andere Form der Konzentration beim Hören. Ich will klassische Musik nicht in einen Elfenbeinturm stellen, aber populäre Musik lässt sich eben auch im Hintergrund spielen – das ist bei der Klassik nicht möglich, sie verlangt das aktive Zuhören.


Stimmt das Klischee, dass klassische Musiker mit populärer Musik nichts anzufangen wissen?

Das lässt sich so nicht behaupten. Nur: Mit klassischen Kompositionen kann man sich intellektuell beschäftigen, das macht ja auch ihren Reiz aus. In jedem Stück stecken sehr viele Emotionen mit ihren eigenen Geschichten. Letztlich sind solche Kompositionen Materien, mit denen man sich endlos auseinandersetzen kann. Deshalb liebe ich meinen Beruf ja auch so sehr.




Jakob Spahn

Der 1983 in Berlin geborene Jakob Spahn studierte an der Hochschule für Musik Hanns Eisler und schloss sein Solistendiplom mit Auszeichnung ab. Jakob Spahn ist Preisträger zahlreicher nationaler und internationaler Wettbewerbe. Seit 2011 ist er Solocellist der Bayerischen Staatsoper in München.

Jakob Spahns besonderes Interesse gilt auch der zeitgenössischen Musik. Unter Leitung des Komponisten Krzysztof Pendereckis hat er dessen erstes Cellokonzert sowie sämtliche Werke für Cello solo auf CD eingespielt. Seine Einspielung von Benjamin Brittens Solosuiten wurde für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik nominiert.

Als Professor lehrt Jakob Spahn an der Musikhochschule Nürnberg, er gibt Meisterkurse bei Festivals wie der Academie Internationale de Nice, der Sommerlichen Musikakademie Hamburg und der Celloakademie Rutesheim. (str)

Antonin Dvorak

Antonin Leopold Dvorak (1841 bis 1904) gilt als herausragender Komponist der Romantik und gilt als der weltweit meistgespielte tschechische Komponist. Sein Werk umfasst neun Sinfonien und zahlreiche Orchesterwerke, Opern, Vokalmusik, Kammermusik sowie Klavier- und Orgelstücke. (str)

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